
Hilfe annehmen: 5 menschliche Gründe, dies nicht zu tun
Wer ist nicht an manchen Tagen, in manchen Phasen des Lebens erschöpft, überfordert, hilflos, traurig, einsam, wütend und weiß nicht, wohin damit und wohin mit sich selbst? Ich habe bisher niemanden getroffen. Und kein Wunder, denn das sind alles menschliche, ganz normale Gefühlszustände, die jeder Mensch durchläuft. Wir sind keine Roboter oder KI 😊 Wir haben menschliche Gefühle, die sich manchmal schlecht anfühlen.
Warum ist es dann so schwer, für genau diese menschlichen Gefühle Hilfe zu suchen und anzunehmen? Vielleicht weißt du, dass Unterstützung gut tun könnte, aber irgendetwas hält dich zurück. Lass uns 5 der häufigsten Gründe anschauen, vielleicht kommt dir etwas bekannt vor.
„Ich schaffe das alleine.“
Klar, du kannst dich durchbeißen. Du bist es vielleicht gewohnt, stark zu sein und Dinge alleine zu rocken. Bestimmt hast du auch schon viele Herausforderungen alleine geschafft. Das Ding ist: Diese inneren Überzeugungen sind oft tief verwurzelt und können dich daran hindern, die Hilfe zu suchen, die dir wirklich hilft. Wenn wir uns nach dieser Überzeugung bzw. Glaubenssatz ausrichten, verpassen wir, dass manches gar nicht so schwer sein muss und dass sich manche Probleme viel schneller und leichter gemeinsam lösen lassen. Es ist nämlich völlig ok, sich einzugestehen, dass du nicht alles alleine schaffen musst. Stärke bedeutet nicht, alles alleine zu schaffen. Es bedeutet, den Mut zu haben, um Hilfe zu bitten und dir selbst zu erlauben, verletzlich zu sein!
Stell dir mal vor, du hast mehrere schwere Kisten für deinen Umzug die Treppe hochzutragen, und du bist auch noch in den 4. Stock gezogen. Wieso solltest du die Kisten alleine hochtragen müssen? Wäre es nicht viel erleichternder, jemanden um Hilfe bitten, wenn es zu schwer wird? Jetzt tausche die Kisten und Stockwerke mit den emotionalen Belastungen des Alltags oder deiner Vergangenheit oder auch einem Trauma. Warum alles alleine schleppen?
„Ich habe keine Zeit.“
Zeit ist kostbar, keine Frage, denn wir haben nur 24 Stunden am Tag. Ich wünsche mir auch oft mehr davon. Wie also füllen wir diese Zeit? Klar: Arbeit, Freundschaften, Hobbies, Partnerschaft, Erledigungen, Kinder, Haushalt, me-time und so weiter. Da kann man sich schon überwältigt fühlen von den täglichen Aufgaben und sich nur auf das Nötigste beschränken. Was ist also das Nötigste und wie passt Psychotherapie oder eine andere Form von Unterstützung für dich persönlich rein? Sich Zeit für sich selbst, für die eigenen Stolpersteine und Schlaglöcher zu nehmen ist weder egoistisch noch nachrangig. Wir sollten diese Zeit für uns, diese „me-time“ und Selbstfürsorge viel ernster nehmen, denn sie ist der Motor für alles andere.
Stell dir vor, du machst gerade Sport, bist am Joggen und bemerkst plötzlich dein schmerzendes Knie. Was tust du? Klar, manche ballern weiter und laufen über den Schmerz hinweg, weil sie keine Zeit oder Lust haben, anzuhalten und zu sehen, was los ist. Sie müssen ja wieder zurück zur Arbeit oder haben einen wichtigen Termin. Das klappt allerdings nur ein paar Mal und dann landen sie beim Arzt oder Ärztin. Jetzt tausche das Knie gegen ein dickes Problem. Du kannst drüber hinwegballern, weil du keine Zeit hast, dir eine Unterstützung zu suchen. Oder du priorisierst es und holst dir Hilfe, damit du es in Zukunft leichter hast. Deine Psyche ist genauso wichtig wie dein Körper.
„Es ist doch gar nicht so schlimm, ich muss mich einfach noch mehr anstrengen.“
Du denkst, du musst einfach noch härter an deinem Problem arbeiten, noch mehr meditieren, noch eine Masterclass machen, endlich mal deine Morgenroutine durchziehen? I hate to break it to you, aber oft ist es nicht mangelnde Anstrengung. Bestimmt hast du dich schon sehr angestrengt, du bist es wahrscheinlich gewohnt, dich immer wieder für Dinge anstrengen zu müssen. Aber du strengst dich eben mit den Strategien an, die du bisher kennst und im Leben kommen immer wieder neue Bremsklötze hinzu, mit denen wir nicht gerechnet haben. Sei es eine körperliche Diagnose, Streit mit der Vorgesetzten, Angst vor Arbeitslosigkeit, steigende Preise, Inflation und Wirtschaftskrise, Naturkatastrophen, Wutausbrüche der Kinder, einen fetzigen Streit mit der Partnerin oder dem Partner und so weiter.
Wie gehst du also mit all den neuen Problemen um? Genau: wie du es bisher getan hast. Aber es ist ja klar, dass wir für diese Probleme noch keine adäquate Umgangsweise gefunden haben. Eine Therapie oder ähnliche Unterstützung kann dir neue Perspektiven und Werkzeuge geben. Du musst dich nicht immer anstrengen, vor allem nicht alleine. Psychotherapie kann auch un-aufregend und leicht sein – leichter, als dich alleine durchzubeißen.
Stell dir wieder vor, du trainierst auf einen Marathon, aber erreichst deine Idealgeschwindigkeit nicht. Würdest du dann immer wieder versuchen, einfach schneller zu laufen, oder etwas an deiner Technik verändern?
„Ich habe Angst, dass etwas Tieferes hochkommt und es mir schlechter geht als vorher.“
Na klar, alte Wunden und Sorgen, die wir erfolgreich geparkt haben, wünschen wir uns nicht wirklich auf unsere Tagesliste. Wieso sollten wir dann riskieren, sie hochzuholen?
Weil eine traumasensible Therapie darauf achtet, dass es nicht zu viel wird und du häppchenweise auf die Probleme und Stellschrauben schaust, die wichtig sind.
Stell dir vor, du räumst deine Abstellkammer auf – du weißt, es kommen ein paar alte Fotoalben, alte Schuhe, Spinnweben, alte Kosmetik und vieles mehr zum Vorschein, was du lange nicht gesehen hast und nun Arbeit benötigt, es aufzuräumen, auszusortieren und wegzuwerfen. Das Gute daran: es schafft Platz für Neues, es ist weniger Krimskrams in Abstellkammer und deiner Wohnung, es kann ein Gefühl von Ordnung bringen. Mich befriedigt eine gute Aufräumaktion am Ende meist. Und mal ehrlich: wer hat eine gute Aufräumaktion im Nachhinein bereut?
So ist es auch in Therapie: anfangs braucht es etwas Arbeit, kann unangenehm sein, erstmal traurig oder wütend machen, und dann? Dann können diese alten Lasten in einem sicheren Raum verarbeitet werden und dich letztendlich leichter fühlen lassen und ohne Sorge, dass mal etwas hochkommen könnte. Das erleichtert ungemein!
„Es dauert zu lange, bis ich eine kassenfinanzierte Psychotherapie finde und alles andere ist zu teuer“
Der Weg zur kassenfinanzierten Therapie kann sich ziehen, das stimmt. Viele Therapeuten haben Wartelisten und auch die sind manchmal schon voll. Das Gesundheitssystem ist nicht ideal und nicht auf die Bedürfnisse zugeschnitten, die man in Krisenmomenten hat.
Zum einen, kann manchmal schon der erste Schritt, sich auf eine Warteliste setzen zu lassen, erleichternd sein. Du weißt, dass du etwas für dich tust, auch wenn es etwas dauert.
Und gleichzeitig ist vielleicht jetzt die Hütte am Brennen – was kannst du also tun? In der Zwischenzeit kannst du dich von anderweitiger Therapie begleiten lassen, die etwas kostet. Es ist eine gute Überbrückung, bis du einen kassenfinanzierten Therapieplatz gefunden hast. Wenn du in einem finanziellen Engpass bist, gibt es einige Therapeut:innen, die einen vergünstigten Preis anbieten. Ich biete beispielsweise zwei kostenreduzierte Plätze an und dies können wir in einem Gespräch besprechen. Dies zu erwähnen kann unangenehm sein, ich weiß. Aber es ist völlig in Ordnung und steht dir zu, auch bei der Finanzierung nach Hilfe zu fragen – das ist meine Überzeugung!
Allerdings gibt es auch Vorteile, eine eigens bezahlte Psychotherapie zu beginnen. Hier kannst du mehr dazu nachlesen.
Alternativ gibt es auch kostenlose Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen. Es lohnt sich, nach diesen Optionen in deiner Nähe zu suchen! Diese Angebote gibt es zu vielen verschiedenen Themen, suche also online nach deinem Thema, Ort, und Beratungsstelle, z.B. „Stressbewältigung, Berlin Kreuzberg, Beratungsstelle“. Für Berlin gibt es verschiedene Übersichten der einzelnen Kiez-Beratungen, hier beispielsweise für Kreuzberg.
Das Fazit
Lass uns um uns selbst kümmern, als hinge unser Leben davon ab – denn das tut es.
Lies dir dazu gerne auch meine persönliche Geschichte durch, wie ich zur Körperpsychotherapie gekommen bin und wie ich es anfangs als „cheating“, also schummeln, empfand.
Hilfe anzunehmen, wenn wir in einem Engpass sind, ist etwas Menschliches. Für dich selbst einzustehen und fürsorglich dir selbst gegenüber zu sein, erfordert heutzutage Mut, keine Frage. Jeder verdient eine Begleitung und es ist eine große Tragödie, dass nicht jeder die Ressourcen dazu hat. Wenn du aber die finanziellen und (einigermaßen) zeitlichen Ressourcen dazu hast, nutze das – als hinge dein Leben davon ab.